Wie der Futterbeutel in der Erziehung und Beschäftigung von Hunden als Ersatzbeute sinnvoll eingesetzt werden kann – und weshalb es biologisch artgerecht ist, das zu tun
Was ist ein Futterbeutel bzw. Preydummy®?
Der Futterbeutel ist ein aus Leinen gefertigter Dummy, den man mit Hundefutter befüllen kann. Die Idee stammt von dem niederländischen Hundeexperten Jan Nijboer. Das Original wird in Deutschland in Handarbeit hergestellt, nachhaltig produziert. Es gibt ihn in verschiedenen Größen und mit Ausführungen für Trocken- wie für Nass- bzw. Barffutter.
Welche Idee steckt hinter dem Futterbeutel bzw. dem Preydummy®?
Die Erziehungsphilosophie von Jan Nijboer Natural Dogmanship basiert auf der Erkenntnis, dass Hunde soziale Beutegreifer sind, die auch mit uns Menschen in einem Sozialverbund oder „Rudel“ leben. Und der verfolgt in der Regel gemeinsame Ziele, bildet also eine Interessensgemeinschaft. Ein wesentliches Interesse für Hunde wie für Menschen ist die Nahrungssuche: ohne Essen kein Leben. Wie ihre wilden Vorfahren, die Wölfe, gehen Hunde gemeinsam auf die Jagd, etwas, das Hunde- und Wolfseltern ihren Kindern bereits früh beibringen, denn das dient dem Überleben. Schon der noch blinde und taube Welpe folgt einer Fährte: Er sucht nach Mamas Zitze. Wenn wir Hunde adoptieren und sie als Familienmitglieder sehen, ist es dann nicht naheliegend, auch ihnen lebenspraktische Fertigkeiten beizubringen, mit ihnen gemeinsam „auf die Jagd“ zu gehen?
Hier kommt nun der Futterbeutel ins Spiel: Denn wir machen nicht etwa Jagd auf Rehe und Kaninchen. Unsere Beute ist der Futterbeutel oder mehrere davon, um spannende Aktivitäten zu gestalten, die daran anknüpfen, was Hunde, wenn wir sie ließen, gerne täten: jagen.
Exkurs: Lebensraum- und Verhaltensbereicherung – ein Konzept zum Wohl der Tiere
Wie wichtig es für das Wohlbefinden von Tieren ist, sich ihrer Art gemäß verhalten zu können, ist gar nicht neu: Schon 1925 erkannte der Primatologe Robert Yerkes, dass der Mangel an Beschäftigung ein wesentlicher Faktor für das Leiden von Tieren in Gefangenschaft ist. Das Konzept Environmental and Behavioural Enrichment (kurz: EBE, deutsch: Lebensraum- und Verhaltensbereicherung) war geboren. EBE wurde in den vergangenen Jahrzehnten als Teil der interdisziplinären Wissenschaft weiterentwickelt und führte in vielen Zoos allmählich zu einem Umdenken. Denn viele Tiere in Gefangenschaft zeigten (und zeigen) Verhaltensauffälligkeiten. Wir alle haben die Bilder im Kopf, von dem Leoparden, der im Käfig Kreise dreht; von Giraffen, die nonstop Gehegestangen ablecken, oder von Elefanten, die „weben“, also rhythmisch ihren Kopf hin und her bewegen. Tiere, die sich so verhalten, leiden unter Reizarmut und es fehlt ihnen unter anderem die Möglichkeit, sich mit Nahrungssuche zu beschäftigen.
In modernen Zoos und auch in Sendungen wie „Leopard, Seebär und Co“ können wir heute beobachten, wie Tiere Aufgaben lösen dürfen, um an ihr Futter zu gelangen. Schimpansen „angeln“ ihre Rosinen oder Honig in künstlichen Termitenhügeln. Elefanten pflücken ihr Heu aus in Bäumen aufgehängten Netzen. Für Löwen und Geparden werden Fleischstücke erhöht in Bäumen aufgehängt, so dass sie springen müssen, um daran zu kommen. Wenn es die Geländegröße erlaubt, jagen Wölfe an Autos festgebundene Fleischbrocken, die Imitation einer Hetzjagd. Ob all dies ausreichend ist für Wildtiere, die in der Natur weite Strecken zurücklegen? Zumindest scheint es eine Bereicherung für sie zu sein, denn Verhaltensstereotypen treten seltener auf, ein Plus für ihre Lebensqualität.
Nahrungsbeschaffung ist im Konzept EBE ein wesentlicher Aspekt der Lebensbereicherung, jedoch nicht der einzige:
- Soziale Bereicherung ist wichtig, damit sich sozial lebende Tiere wohlfühlen. Stimmt die Gruppenzusammensetzung, hat das Tier seine Position gefunden? Bei sozial lebenden Tieren sind soziale Körperpflege, die die Bindung festigt, Kontaktliegen, das gemeinsame Erkunden eines Territoriums sowie die gemeinsame Nahrungssuche extrem bereichernd.
- Territoriale Bereicherung ist für ein Tier dann gegeben, wenn es in einem sicheren Rahmen die Umgebung erkunden und Nahrung suchen kann. Auch hier spielt der soziale Aspekt wiederum eine große Rolle: Wer sorgt für die Sicherheit? Wie ist die Rollenaufteilung in der sozialen Gruppe?
- Sexuell bereichernd ist es, wenn sich Tiere freiwillig paaren dürfen und nicht dazu gezwungen werden (zum Beispiel in Vergewaltigungsboxen). Und last but not least gibt es noch die sogenannte
- Habitatsbereicherung: Hier werden die Tiere in unregelmäßigen Abständen mit neuen Objekten, Gerüchen oder Geräuschen konfrontiert. Bei allen Maßnahmen der Lebensraum- und Verhaltensbereicherung dient immer das arteigene Verhalten der Tiere in der Natur als Leitfaden.
Environmental and Behavioural Enrichment
Was hat das mit unseren Hunden zu tun?
Nun brauchen Hunde, die bei Menschen leben, nicht mehr jagen, denn sie bekommen ihr Futter bequem im Napf serviert. Das füllt ihren Magen, erfüllt jedoch nicht ihr angeborenes Bedürfnis, zu jagen und diese Fertigkeit zu lernen. Kurzum: Zufrieden sind die Hunde damit in der Regel nicht. Oft teilen sie uns das über ihr Verhalten mit: je nach Geschmack nehmen sie auf dem Spaziergang vom alten Brötchen bis zum Pferdeapfel alles Mögliche auf, buddeln nach Mäusen und hetzen Kaninchen, Hasen oder Rehe. Sie machen uns Vorschläge, was man Gescheites tun könnte, wenn wir in Wald und Flur unterwegs sind.
Ist Jagen nicht was Schlechtes?
Sogenannte Antijagdtrainings helfen da nicht weiter, denn es ist nicht möglich, ein angeborenes Verhalten „wegzutrainieren“. Manche Hunde lassen ihren Frust an anderen Artgenossen oder auch an Menschen aus, denn wenn der Sinn des Spaziergangs nicht die Nahrungssuche ist, so muss es wohl die Revier-Patrouille sein: Gibt es Konkurrenz im Gebiet? Oder vielleicht auch mögliche Sexualpartner bzw. -partnerinnen? Viele Verhaltensprobleme zu Hause in der Familie sind darauf zurückzuführen, dass Hunde sich mit in ihren Bedürfnissen nicht verstanden fühlen. Und so manche Hunde zeigen neben resignativen bis hin zu apathischen auch stereotypes Verhalten: sie drehen sich im Kreis, jagen ihren eigenen Schwanz oder lecken exzessiv an ihren Pfoten. Wie steht es um die Erfüllung ihrer jagdlichen, sozialen, territorialen und sexuellen Bedürfnisse?
Gemeinsame Nahrungssuche mit dem Hund: Jagen im Rudel – Warum wir Menschen mit unserem Hund jagen sollten
Die meisten Menschen möchten, dass es ihren Hunden gut geht. Sie wissen, dass Erziehung und Beschäftigung wichtig sind, und dabei spielt oft auch Futter eine Rolle, was ja gemäß EBE wichtig ist. Gut gemeint ist aber nicht immer gut gemacht. Ein Beispiel: Viele Menschen streuen Leckerlis auf eine Wiese, die der Hund dann suchen darf. Doch hier fehlt der soziale Rückbezug. Der Mensch schickt den Hund zwar zur Suche, aber hat dieser die Leckerlis gefunden, frisst er sie direkt auf. Der Mensch spielt keine weitere Rolle. Beim Futterbeutel ist das anders. Wenn der Hund ihn gefunden hat, wird „die Beute“ dem Menschen zur Aufbewahrung anvertraut, was, wie das Wort verrät, ein Vertrauensbeweis des Hundes ist und die soziale Bindung zwischen Hund und Mensch verstärkt.
Wie setze ich den Futterbeutel ein?
Wie also könnte die oben geschilderte Situation mit Futterbeuteln statt mit Leckerlis aussehen? Zum Beispiel so: Der Mensch hat mehrere Futterbeutel auf einer Wiese oder im Wald versteckt. Gemeinsam mit seinem Hund pirscht er sich an. Mit einem Signal schickt er den Hund zur Suche. Der Hund findet den ersten Futterbeutel, bringt ihn zur Bezugsperson, die den Futterbeutel sicher verstaut, und dann suchen Mensch und Hund gemeinsam den nächsten und übernächsten. Die Mahlzeit gibt es, wenn alle Futterbeutel gefunden worden sind, als Ganzes und nicht in Leckerli-Häppchen, was auch ernährungsphysiologisch nicht der Biologie des Hundes entspricht. Übrigens: Ein weiterer Vorteil ist, dass wir uns den Anti-Giftköder-Kurs sparen, wenn wir unserem Hund gar nicht erst beibringen, loses Futter vom Boden aufzunehmen.
Soziales Lernen ist sozial bereichernd
Hunde bereichern unser Leben. Doch sollten wir uns – wie in jeder guten Beziehung – nicht auch Gedanken machen, was auch für die andere Seite bereichernd sein könnte? Hunde haben in unserer heutigen Kultur meist nur eine emotional-soziale Funktion für uns. Wir lieben sie und beschäftigen sie, aber wir erwarten in der Regel Dinge von ihnen, die sie von sich aus eher nicht tun würden, wie zum Beispiel Unterordnungsübungen oder Tricks.
Intrinsische versus extrinsische Motivation
Hunde tun das, weil wir sie dafür mit Leckerlis (auch Clicker) belohnen, sie dazu also extrinsisch motivieren. Anders ausgedrückt: wir „bestechen“ sie. Bieten wir Hunden dagegen an, etwas zu tun oder zu lernen, was aus ihrer Sicht sinnvoll ist (wie zum Beispiel jagen), brauchen wir sie nicht zu motivieren (im Gegenteil, es wäre sogar kontraproduktiv). Wie wir Menschen können auch Hunde aus eigenem inneren Antrieb heraus handeln, sich intrinsisch motivieren.
Wann ist mein Hund von sich aus motiviert?
Das passiert dann, wenn das Verhalten sinnvoll erscheint und idealerweise auch noch Spaß macht. Wichtig für das Wohlergehen von Hunden ist also nicht nur, was wir ihnen beibringen, sondern auch wie wir es ihnen beibringen. Ein Beispiel: Bei der gemeinsamen Suche nach versteckten Futterbeuteln lernt der Hund, dass es eine gute Idee ist, auf uns zu achten, denn wir sichern die Umgebung und wir wissen, wo es „Beute“ gibt. Unser Hund lernt, abzuwarten, zu stoppen, sich auf unser Signal zu setzen oder zu legen, wenn es für die jeweilige Jagdsequenz sinnvoll ist – und nicht, weil uns gerade danach ist. Daher verwenden wir in der Kommunikation mit dem Hund Signale statt Kommandos. Wichtig ist auch, dass wir dem Hund bei der Ersatzjagd keine Aufträge geben im Sinne von „du musst das jetzt (für mich?) tun“. Stattdessen bringen wir uns als Bezugsperson sozial mit ein: wir schleichen gemeinsam, wir schauen uns an, wir stoppen gemeinsam, wir suchen gemeinsam – wir sind verbunden. Das sorgt für eine innige Bindung zwischen Mensch und Hund und kann eine Vielzahl an Problemen wie: Leinenführung, Hundebegegnungen, oder auch Probleme mit Besuch vorbeugen.
Fazit: für uns oder mit uns?
Wäre es nicht schön, unser Hund würde sich von sich aus, auf eigenem Wunsch, mit uns beschäftigen? Weil es für ihn sinnvoll ist? Weil wir ihm die Möglichkeit geben, seine Talente zu entfalten? Die gemeinsame Ersatzjagd kann dabei von Hund zu Hund ganz unterschiedlich aussehen, je nach Hundetyp, Interessen und Persönlichkeit. Einfach mal ausprobieren und ganz gemäß EBE: gemeinsame Futtersuche statt Fast Food im Napf!
© Christiane Helmstedt | Jan Nijboer | Natural Dogmanship®